Ein junger Mann mit Asperger-Autismus will sein altes Leben zurückhaben. Von Staatsgewalt und Bußgeldern will er sich nicht einschüchtern lassen. Wie es ihm damit bislang ergangen ist.
Die Corona-Einschränkungen haben Christian (34) alles weggenommen, was ihm Freude gemacht hat: Kirmes, Spaßbad, Treffen mit Freunden, Veranstaltungen in der Kirchengemeinde, Weihnächstmärkte, in der Stadt bummeln, Reisen, Restaurantbesuche. – Ja, anderen Menschen ging es auch so, mag man jetzt denken. Doch bei Christian ist die Situation anders: Er ist schon sein ganzes Leben lang schwer behindert. Er ist Autist mit Asperger-Syndrom.
Christian hat als Verwaltungsfachangestellter bei der Stadt Dortmund gearbeitet. Dort lebte er auch. 2019, noch vor Corona, konnte er ein halbes Jahr nicht arbeiten wegen einer Depression. Es folgte die Wiedereingliederung, also eine langsame Erhöhung der Arbeitsstunden. Dann kamen Corona und die Einschränkungen. „Da habe ich alles verloren“, sagt Christian. „Mir hat es den Boden unter den Füßen weggezogen. Für mich war das psychische Folter.“
Nun muss man wissen, dass bei Asperger-Autismus die soziale Wahrnehmung eine andere ist als bei normalen Menschen. Kommunikation und Reizverarbeitung sind gestört. Christian war sehr wütend über die Corona-Maßnahmen. Wütend auf alle, die das Spiel mitspielten und erst Recht auf jene, die die Beschränkungen umsetzten. Christian ist sehr interessiert, hat sich im Netz ausgiebig informiert. Und ist einem Aufruf der „Anwälte für Aufklärung“ gefolgt: Er hat das Gesundheitsamt der Stadt Dortmund angezeigt. Man wollte ihn deshalb abmahnen – für ihn ein Skandal, da sich seine Dienst- und Treuepflichten nicht auf andere Ämter in der Stadtverwaltung beziehen würden, Ämter, in denen er nicht arbeitet. Er teilte das Schreiben in Telegram-Gruppen mit dem Hinweis, dass er sich „von Söldnern und Staatsdienern nicht einschüchtern“ lasse. Seine Kündigung folgte.
Mit Demonstration Widerstand zeigen
Christian wollte sich wehren – und tut es bis heute. Er hat Sinn in den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen gesehen. Seine erste war in Aachen am 11. April 2020. Zu diesem Zeitpunkt waren Demos noch komplett verboten. Die Polizei kam dazu, Christian ist unerkannt geflüchtet. Er hat verfolgt, wie etwa mit Dr. Wodarg, selbst Mediziner und Kritiker der Corona-Maßnahmen, umgegangen wird. „Wer eine andere Meinung hatte, wurde als Verschwörungstheoretiker abgetan“, erinnert sich Christian. Zu diesem Zeitpunkt wurde für ihn klar, „dass da was mit der Demokratie nicht stimmt. Das darf nicht sein.“
Ohne Maske, aber mit Attest
Christian war bei den beiden großen Demos 2020 in Berlin dabei, dann 2021 in Köln. Er trug keine Maske, weil er ein Maskenbefreiungsattest hat. Ein Trauma steckt dahinter. Das war eine Erfahrung in Japan – dem Land, zu dem Masken gehören wie Lederhosen zu Bayern. Für einen normalen Menschen wäre es wohl nicht schlimm gewesen. Christian ist seitdem traumatisiert. Masken kann er nicht tragen.
Bei der Demo in Köln hat er der Polizei sein Attest vorgezeigt. Er wollte nicht, dass es fotografiert oder kopiert wird. Doch eine Polizistin hat es ihm aus der Hand gerissen. „Da habe ich laut herumgeschrien“, sagt Christian. Ein halbes Jahr später kam ein Bescheid, wonach er 3000 Euro Bußgeld zahlen sollte. Angeblich, so hieß es darin, wollte er die Polizistin schlagen.
Ein Gutachten soll klären, ob Christian aufgrund seiner Schwerbehinderung schuldfähig ist. Beauftragt wurde ein Gutachter einer forensischen Psychiatrie. Doch Christian weigert sich, in eine solche Klinik zu gehen. Er hat Angst, dass er die Diagnose Borderline oder paranoide Schizophrenie bekommt – das sei auch vor Corona oft irrtümlich bei Menschen mit Asperger-Autismus oder Pharmakritikern der Fall gewesen, sagt er. Der Gutachter entscheidet jetzt per Aktenlage. Christian ist sich sicher, dass die Polizistin grob rechtswidrig gehandelt hat. Es gebe keine Rechtsgrundlage, ihm das Attest aus der Hand zu reißen.
Im Februar 2021 kam es zum nächsten Vorfall. Wieder eine Demo, diesmal in Hamm. Christian hatte etwas außerhalb geparkt. Deshalb waren er und zwei weitere Beifahrer in einem Auto mitgefahren, das ihn zu seinem Parkplatz bringen sollte. Doch zu viert im Auto war zu dieser Zeit verboten. Die Polizei hat den Wagen angehalten und zwei Mitfahrer aus dem Auto geworfen, wegen Verstoßes gegen die Corona-Schutzverordnung. Jeder der vier bekam ein Bußgeld, mit Verwaltungsgebühr von je 270 Euro. Alle vier haben Widerspruch eingelegt. Die drei, die keinen Anwalt hatten – auch Christian hatte keinen – , bekamen eine Ladung zur Verhandlung am 27. September 2021. Der vierte mit Anwalt bekam seine Ladung für März 2022.
Bußgeld nicht brav bezahlen
Das Argument von Christian und seinen Mitstreitern war, dass der Pkw kein öffentlicher, sondern privater Raum sei, in dem die Corona-Schutzmaßnahmen nicht greifen. Dem wurde nicht stattgegeben, doch das Bußgeld wurde herabgesetzt und beläuft sich jetzt auf 160 Euro inklusive Verwaltungsgebühr. Doch Christian will es auf keinen Fall bezahlen. „Weil ich weiß, dass dann immer mehr Freiheitskämpfer mit Bußgeldern belangt werden würden, wenn jeder brav zahlen würde, nachdem er Gerichtsprozesse verloren hat“, sagt er. „Dadurch wäre es auch bei einer möglichen Impfpflicht für den Staat einfacher, hart durchzugreifen. Das dürfen wir nicht riskieren.“
Christian ergänzt, dass wir uns hier im Artikel 20.4. des Grundgesetzes befinden. „Demnach haben wir das Recht auf zivilen Ungehorsam, da unsere demokratische Grundordnung zerstört wird“, erklärt er. Dieser Artikel stehe schließlich nicht umsonst im Grundgesetz. Würde Christian das Bußgeld zahlen, hätte er das Gefühl, dass er „Verbrecher auch noch belohnt“.
Er hat sich einen Anwalt genommen von „Anwälte für Aufklärung“, hat sich mit weiteren Betroffenen zusammengetan und kämpft für sein Recht.
Einen weiteren Vorfall wegen seines Attests gab es im Mai 2021 bei einer Demo in Berlin. Wieder wollte er es nicht aus der Hand geben. Die Polizei hat ihn festgehalten, er wollte sich befreien: Die Anklage lautet auf „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“. Ein Anwalt hat sich der Sache angenommen.
2021 ist Christian in den Frankenwald gezogen, dorthin, wo er seine Kindheit verbracht hat. Demos besucht er weiterhin. War in Sonneberg, Bamberg, Nürnberg, Bayreuth und Zwickau schon dabei. Zwischenfälle mit der Polizei gab es für ihn seitdem keine mehr. Er wünscht sich, dass immer mehr Menschen aufwachen und das Spiel durchschauen, das hier gespielt wird. „Irgendwann bricht das Kartenhaus in sich zusammen“, ist er sicher.
Vielleicht ist es auch sein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, bedingt durch seine Erkrankung, das ihn weiterkämpfen lässt. Kämpfen auch für Kinder, die dem System ausgeliefert sind. „Es darf doch nicht die Lösung sein, dass Familien auswandern müssen“, sagt Christian.
Und bei aller Courage hat er Angst vor der Zukunft. Vor dem „Great Reset“, dass alles noch schlimmer wird, dass eine Diktatur entsteht. Womit wir bei seinem nächsten Problem angekommen sind: Christian sieht sich psychisch nicht in der Lage, wieder zu arbeiten. Zurzeit lebt er noch vom Arbeitslosengeld, doch das läuft im August aus. Er hat Erwerbsminderungsrente beantragt, doch die wurde ihm nicht anerkannt. Wenn er sich kein Auto mehr leisten kann, wäre das für ihn eine Katastrophe.
Eines ist sicher: Er kämpft weiter.
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