In seiner Website Zusammen gegen Corona stellt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) verschiedenen „Fake News“ seine „korrekten“ Gegenbehauptungen gegenüber. Eine Analyse dieser Gegenbehauptungen legt den Verdacht nahe, dass das BMG selbst Fake News verbreitet.
Auf der Website Fake News rund um das Coronavirus des BMG werden folgende Aussagen als Fake News berichtet und richtiggestellt:
- „Das Coronavirus ist nichts anderes als eine herkömmliche Grippe.“
Richtigstellung:
„Falsch! COVID-19 und die Grippe unterscheiden sich deutlich voneinander.“ - „Impfstoffe gegen COVID-19 sind nicht sicher, weil sie zu schnell entwickelt und zugelassen wurden.“
Richtigstellung:
„Falsch! Alle in Deutschland zugelassenen Impfstoffe gegen COVID-19 sind wirksam und sicher.“ - „Corona-Impfstoffe beeinträchtigen die Fruchtbarkeit.“
Richtigstellung:
„Falsch! Eine Impfung gegen COVID-19 hat keine Auswirkung auf die Fruchtbarkeit.“ - „mRNA-Impfstoffe verändern die DNA im Körper der geimpften Person.“
Richtigstellung:
„Nein! Eine Veränderung der DNA durch einen mRNA-Impfstoff ist nicht nachgewiesen.“
Diese „Fake News“ und die Gegenbehauptungen werden auf dieser Website in einer Reihe von Beiträgen analysiert. Hier folgt die Analyse von „Fake News“ 1.
Das Coronavirus ist nichts anderes als eine herkömmliche Grippe
Unsinnige Formulierung der Falschmeldung
Mit der Formulierung „Das Coronavirus ist nichts anderes als eine herkömmliche Grippe“ wird der fiktive Urheber der Falschmeldung in subtiler Weise als inkompetent dargestellt. Diese Aussage ist semantisch unsinnig, da ein Virus (Coronavirus) nicht mit einer Krankheit (Grippe) verglichen werden kann. Würde das BMG diesen Unsinn in die Gegenbehauptung übernehmen, würde sie lauten „Das Coronavirus und die Grippe unterscheiden sich deutlich von voneinander.“ Das ließe das BMG in einem ebenso schlechten Licht erscheinen wie den fiktiven Urheber der Falschmeldung. In einer semantisch sinnvollen Formulierung würde die Falschbehauptung lauten „Covid-19 ist nichts anderes als eine herkömmliche Grippe.“
In dieser Aussage ist der Begriff „herkömmliche Grippe“ unpräzise. Damit könnte ein „grippaler Infekt“, also eine Erkältung gemeint sein, über die in Wikipedia steht: „Weit über 200 Virusstämme sind an der Verursachung von Erkältungen beteiligt. Rhinoviren, Coronaviren, Adenoviren und Enteroviren sind die häufigsten.“ Das BMG spricht aber in seinen Ausführungen zum Thema explizit von Influenza. Eine präzise Formulierung der Falschmeldung, so wie sie das BMG beantwortet, müsste daher lauten „Covid-19 ist nichts anderes als die Influenza“. Das ist so offenkundig falsch, dass eine weitere Argumentation überflüssig wäre.
Eine sinnvolle Formulierung der „Falschmeldung“
Das BMG stellt als Fake News also eine Behauptung in den Raum, die semantisch unsinnig und in der semantisch korrigierten Form offenkundig falsch ist. Sie sollte daher nicht schwer zu widerlegen sein. Wie seinen Ausführungen zu entnehmen ist, geht es dem aber BMG offensichtlich um etwas anderes. Das BMG will zeigen, dass Covid-19 gefährlicher ist als die Grippe. Es widerlegt letztendlich die Aussage
„Covid-19 ist nicht gefährlicher als die Influenza.“
Faktencheck zu den Argumenten der Gegenbehauptung
Die wesentlichen Argumente des BMG für die Aussage, dass Covid-19 und die Grippe sich deutlich unterscheiden bzw. dass Covid-19 gefährlicher ist, sind:
Covid-19 ist im Vergleich zur Grippe
- deutlich ansteckender,
- führt zu mehr schweren Infektionsverläufen,
- hat höhere Raten von Intensivbehandlungen und Sterbefällen,
- hat eine längere Inkubationszeit,
- führt häufiger zu Geschmacks- und Geruchsverlust,
- ist eine Nerven- und Gefäßerkrankung.
Das BMG gibt keine Quellen an, die diese Aussagen belegen.
Aussagen 1. und 3.
Diese sind in der Wissenschaft zumindest umstritten. Die erste Feldstudie zu Covid-19 in Deutschland [1] wurde in Heinsberg/Gangelt durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Krankheit nicht außergewöhnlich ansteckend ist. In einem Zwei-Personen-Haushalten steckte ein Infizierter die zweite Person mit einer Wahrscheinlichkeit von 43,6% an, also in weniger der Hälfte der Fälle. Das RKI gibt die Basisreproduktionszahl (R0) mit 2,8 bis 3,8 an. Sie liegt damit leicht über der von Erkältungskrankheiten, die in Wikipedia mit 2 – 3 angegeben ist. Deutlich ansteckender sind z. B. Masern (12 – 18) und Windpocken (10 – 12).
Für die Infection Fatality Rate (IFR), d. h. die Rate der Sterbefälle unter den Infizierten, wurde in der Studie zu Heinsberg ein Wert von 0,35%, ermittelt. Er liegt im Bereich einer schwereren Influenza. Viele weitere Studien zeigen ähnliche, sehr oft geringere IFRs. Beispielsweise ermittelte John Ioannidis in [2] eine IFR von 0,15% – 0,2%, wobei der Wert für unter 70-jährige bei 0,03% – 0,04% lag.
Aussage 2.
Nach Definition des RKI ([3], S. 3) ist ein schwerer bzw. ein kritischer Verlauf dadurch definiert, dass er eine Hospitalisierung bzw. eine intensivmedizinische Behandlung erfordert. In einer vorläufigen Auswertung des ICOSARI Sentinels [4] kommt das RKI zu dem Schluss, dass Covid-19 im Vergleich zum Durchschnitt der Grippewellen 2015 bis 2019 eine höhere Letalität und eine längere Beatmungsdauer aufweist. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass eine höhere Letalität gerade durch die Fehlbehandlung „künstlichen Beatmung“ verursacht wurde. Darüber wurde verschiedentlich in der Presse berichtet: Lungenarzt: „Frühe künstliche Beatmung ist größter Fehler im Kampf gegen Corona“ und „Wir müssen bei Covid-19 von der künstlichen Beatmung absehen“.
Verlässliche Daten darüber, wie viele schwere und wie viele kritische Verläufe von Covid-19 in Deutschland in 2020 und 2021 auftraten, wurden nicht erhoben und liegen amtlicherseits nicht vor ([5], S. 3). Eine Auswertung der Daten des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) zeigt, dass sowohl die Gesamtzahl der stationären (2020: -13,2%, 2021: -13,4%) als auch die der intensivmedizinischen Behandlungen (2020: -9,6%, 2021: -16,3%) in deutschen Krankenhäusern in den Jahren 2022 und 2021 im Vergleich zu 2019 stark zurückging ([6], S. 2 – 4). Covid-19 hat nicht zu einer Überlastung des Gesundheitssystems geführt, sondern im Gegenteil zu einer außergewöhnlichen Unterauslastung.
Aussagen 4. und 5.
Eine längere Inkubationszeit oder das häufigere Auftreten von Geschmacks- und Geruchsverlust unterscheidet Covid-19 möglicherweise von der Influenza. Diese Merkmale führen nicht zu einer erhöhten Gefährlichkeit.
Aussage 6.
Dass Covid-19 – wie auch die Influenza – in seltenen Fällen auch andere Organe befallen kann, macht die Krankheit genauso wenig zu einer Nerven- und Gefäßerkrankung wie die Influenza.
Fazit
Das BMG widerlegt eine Falschmeldung, die es selbst in einer Art und Weise formuliert hat, die nicht sinnvoll ist. Eine vernünftige Formulierung würde lauten:
Covid-19 ist nichts anderes als eine herkömmliche Atemwegsinfektion.
Weder in den offiziellen Verlautbarungen des BMG noch in denen des RKI finden sich belastbare Belege, die diese Aussage widerlegen.
Quellen
[1] ↑ Streeck, H., Schulte, B., Kümmerer, B.M. et al. Infection fatality rate of SARS-CoV2 in a super-spreading event in Germany. Nat Commun 11, 5829 (2020). https://doi.org/10.1038/s41467-020-19509-y
[2] ↑ Ioannidis JPA. Global perspective of COVID-19 epidemiology for a full-cycle pandemic. Eur J Clin Invest. 2020 Dec;50(12):e13423. https://doi.org/10.1111/eci.13423. Epub 2020 Oct 25. PMID: 33026101; PMCID: PMC7646031.
[3] ↑ Schilling J, Diercke M, Altmann D, Haas W, Buda S: Vorläufige Bewertung der Krankheitsschwere von COVID-19 in Deutschland basierend auf übermittelten Fällen gemäß Infektionsschutzgesetz. Epid Bull 2020;17:3 – 9 | DOI 10.25646/6670.2. https://doi.org/10.25646/6670.2.
[4] ↑ Tolksdorf K, Buda S, Schuler E, Wieler LH, Haas W: Eine höhere Letalität und lange Beatmungsdauer unterscheiden COVID-19 von schwer verlaufenden Atemwegsinfektionen in Grippewellen. Epid Bull 2020;41:3–10 | DOI 10.25646/7111. https://doi.org/10.25646/7111.
[5] ↑ Tom Lausen. Langfristige Konsequenzen für das Gesundheitssystem Lernen aus der Pandemie. Stellungnahme zur Anhörung vom 08. Juli 2021, 10.30 Uhr im Unterausschuss Parlamentarisches Begleitgremium COVID-19-Pandemie (Deutscher Bundestag). https://www.bundestag.de/resource/blob/850806/7bd14581e33890e68fe7d57ee67d4cbf/19_14-2_13-2-_ESV-Tom-Lausen-_Langfriste-Konsequenzen-data.pdf.
[6] ↑ Tom Lausen. Öffentliche Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und anderer Vorschriften BT-Drucksache 20/958. Stellungnahme zur Anhörung vom 14. März 2021, 11.00 Uhr im Ausschuss für Gesundheit (Deutscher Bundestag). https://www.bundestag.de/resource/blob/883938/7d235144f04619373179440fcd21422b/20_14_0013-8-_ESV-Tom-Lausen_IfSG-data.pdf.